PRUSSIA-Gesellschaft

Weitere Buchempfehlungen/Rezensionen nicht aus der PRUSSIA-Schriftenreihe

1. Rolf Straubel, Handels- und gewerbepolitische Veränderungen im friderizianischen Preußen (1740-1806) unter besonderer Betrachtung Memels - Veröffentlichung neuer Forschungsergebnisse

2. Bertram Faensen, Antikensammlungen in Ostpreußen

3. Grischa Vercamer, Siedlungs-, Verwaltungs- und Sozialgeschichte der Komturei Königsberg im Deutschordensland Preußen

4. Simon Dach im Kontext preußischer Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit

5. Theodor, Lepner, Der Preusche Littau (1690)

6. Rothe, Wolfgang - Gautsch, Andreas, Wald-, Jagd- und Kriegserinnerungen ostpreußischer Forstleute, 1925 - 1945

7. Rothe, Wolfgang - Wiemer, Daniela - Streufert, Carsten, Rominten 1936 - 1944 - Das Fotoalbum des Forstmeisters Dietrich Micke 

8a. Bitner-Wróblewska, Anna (Red.), Archeologiczne ksiegi inwentarzowe dawnego Prussia-Museum / Die archäologischen Inventarbücher aus dem ehemaligen Prussia-Museum. Aestiorum Hereditas I (Olsztyn 2008)

8b. Nowakiewicz, Tomasz (Red.), Archeologiczne dziedzictwo Prus Wschodnich w archiwum Feliksa Jakobsona / Das archäologische Vermächtnis Ostpreußens im Archiv des Felix Jakobson. Aestiorum Hereditas II (Warszawa 2011)

8c. Bitner-Wróblewska, Anna (Red.), Archeologiczne ksiegi inwentarzowe dawnego Prussia-Museum / Die archäologischen Inventarbücher aus dem ehemaligen Prussia-Museum. Aestiorum Hereditas I (Olsztyn 2008)

9. Shindo, Rikako, Ostpreußen, Litauen und die Sowjetunion in der Zeit der Weimarer Republik, 888 Seiten, Duncker & Humblot 2013

10. Christian Tilitzki: Die Albertus-Universität Königsberg. Die Geschichte von der Reichsgründung bis zum Untergang der Provinz Ostpreußen, Bd. 1: 1871-1918, München: Oldenbourg 2012, X + 813 S., ISBN 978-3-05-004312-8

11. Aus der Reihe Orte der Reformation [Journal 18]: Königsberg und das Herzogtum Preußen 
Hrsg. von Lorenz Grimoni und Andreas Lindner, Evangelische Verlagsanstalt GmbH - Gefördert u.a. von der PRUSSIA-Gesellschaft 

12. Die Reformation im Großfürstentum Litauen und in Preußisch-Litauen (1520er Jahre bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts) 

13.Rinkevičius, Vytautas: Altpreußisch. Geschichte, Dialekte, Grammatik

14. Rezension „Luftbild-Atlas der Rominter Heide, Stadt und Kreis Goldap“

15. Rezension "Ostpreußen unter der Zarenherrschaft 1757–1762"


Zu 1. Rolf Straubel: Handels- und gewerbepolitische Veränderungen im friderizianischen Preußen (1740-1806) unter besonderer Betrachtung Memels - Veröffentlichung neuer Forschungsergebnisse  -

Der Autor, habilitierter Historiker am brandenburgischen Landeshauptarchiv, geht in der wissenschaftlichen Monographie am Beispiel ausgewählter Personen den Handlungsspielräumen nach, welche hohe Beamte sowie Kaufleute, Unternehmer im frühen preußischen Staat besaßen. Er zeigt ebenso verschiedene grundsätzliche Aspekte und Entwicklungslinien der preußischen Wirtschafts-, Sozial- und Verwaltungsgeschichte, eindrucksvoll bereichert - dank der hervorragenden Quellenlage - mit präzisen Detaildarstellungen aus Korrespondenzen, amtseitigen Berichten sowie Anordnungen.

Es handelt sich um eine wissenschaftliche Arbeit, welche überwiegend auf bisher nicht publiziertem Aktenmaterial aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem gründet.

Im Mittelpunkt stehen dabei der aus dem ostpreußischen Tilsit stammende Finanzrat Friedrich Wilhelm Tarrach (1718-1782) sowie der Memeler Kaufmann Johann Simpson der Jüngere (1737-1811). Beider Lebensläufe werden verfolgt, die beruflichen und persönlichen Kontakte umrissen sowie ihre Ambitionen aufgezeigt. So entstammte J. Simpson einer seit Generationen in Memel ansässigen, einflussreichen Familie, die maßgeblich zum Aufstieg der Stadt zu einem der wichtigsten preußischen Handelsplätze an der Ostsee beitrug, was freilich nur im Gefolge eines harten innerstädtischen Verdrängungswettbewerbes möglich war. – In seiner 2003 veröffentlichen Studie hat der Autor diesen Prozess bereits beleuchtet und anhand zeitgenössischer Statistiken dokumentiert: „Die Handelsstädte Königsberg und Memel in friderizianischer Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des ost- und gesamtpreußischen „Commerciums“ sowie seiner sozialen Träger (1763-1806/15).“ –

Durch seine freimaurerischen Kontakte u.a. zu Johann Christoph Woellner und den Gebr. Beyer in Berlin wurde Simpson sogar zu einem gefragten Gesprächspartner für hohe Königsberger und Berliner Beamte und erlangte eine weit über Memel hinausgehende Bedeutung.

F.W. Tarrach widerum avancierte in den späten siebziger Jahren zu einem wichtigen wirtschaftspolitischen Berater des großen Königs, er stand in engem Kontakt zu Kabinettsrat Johann Christian Friedrich Stelter und mehreren Provinzialministern. Anders als sein 1766 kassierter Amtskollege Erhard Ursinus, der hier ebenfalls behandelt wird, vermied der Finanzrat jede direkte Kritik an der königlichen Wirtschaftspolitik, verlor jedoch noch vor seinem Ableben aufgrund geschönter Berichte, unrealistischer Projekte als auch intriganter Praktiken das Wohlwollen des Monarchen.

Die Lektüre gibt interessante Einblicke in die städtischen Belange Memels im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, in die Konflikte zwischen Memel und Königsberg, in die Auseinandersetzungen unter den ostpreußischen Kaufleuten, verdeutlicht die Mechanismen wirtschaftspolitischer Entscheidungen, illustriert das wechselseitige Beziehungsgeflecht zwischen Beamten und Kaufleuten/Unternehmen und zeigt die enge Kooperation zwischen Mitgliedern der Berliner Zentralbehörden (Generaldirektorium) und Potsdamer Kabinettsbeamten auf. Im abschließenden Personenregister wird kontextbezogenen das „who is who“ der friderizianischen Epoche aufgelistet und ermöglicht dem interessierten Leser neben dem detaillierten Inhaltsverzeichnis eine weitere Möglichkeit zum Einstieg in die akribisch recherchierte Materie.

Rolf Straubel: Zwischen monarchischer Autokratie und bürgerlichem Emanzipationsstreben. Beamte und Kaufleute als Träger handels- und gewerbepolitischer Veränderungen im friderizianischen Preußen (1740-1806), BERLINER WISSENSCHAFTSVERLAG GmbH (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 63), 2012, ISBN 978-3-8305-3016-9


Zu 2. Bertram Faensen: Antikensammlungen in Ostpreußen

Einer kurzen Einleitung zur Entstehung der Kunstmuseen in Europa, Deutschland und Preußen folgen Ausführungen zur Aufgabenstellung. Unter dem von ihm behandelten Begriff Antiken fasst der Autor „Sachüberreste aus dem griechisch-römischen Kulturraum“ aber auch die Hinterlassenschaften der benachbarten Hochkulturen in Ägypten und Vorderasien sowie Kopien antiker Objekte zusammen. Faensen betont dabei, dass er seine Arbeit über die „Antikensammlungen in Ostpreußen“ als Baustein für entsprechende landesgeschichtliche Zusammenstellung in der Zukunft, welche die Architektur der Sammlungsgeschichte Deutschlands in ihrer regionalen Differenzierung und ihren übereinstimmenden Zügen zu setzen vermögen“ sieht.

In der in fünf Abschnitte gegliederten Publikation beschäftigt sich der Autor unter der Überschrift „Das 17. und 18. Jahrhundert ­Münzsammlungen, Raritätenkabinette, Figurenschmuck in Gärten und Parkanlagen“ zu Beginn mit den Sammlungen des 17. und 18. Jahrhunderts mit Betrachtungen zu den frühen Formen des Museums und der Antikenliebhaberei. Früheste numismatische Kollektionen als Teil der Raritätenkabinette sind in Ostpreußen bereits für das 15. Jahrhundert überliefert und blieben in der Folgezeit eine Domäne des Adels. Im 17. Jahrhundert beginnt auch das Bürgertum (in Königsberg) mit dem Sammeln von Münzen.

Das Aufstellen von Kopien antiker Statuen war auch in Ostpreußen ab dem 18. Jahrhundert Bestandteil der damaligen Gartenästhetik. Mit dem Aufkommen der englischen Landschaftsgärten verschwinden solche Statuen, da sie nicht mehr dem Geschmack der klassizistischen Epoche entsprachen.

Das Kapitel endet mit einer ausführlichen Übersicht der Sammlungen des Königsberger Kaufmanns Friedrich Franz Saturgus und des ermländischen Fürstbischofs Ignacy Krasicki als Beispiele für die Sammlungsgeschichte in Ostpreußen vor dem 18. Jahrhundert.

Bereits im ersten Abschnitt seiner Arbeit beweist Faensen seine umfassenden Kenntnisse, die sich nicht nur auf Ostpreußen beschränken. Immer wieder wird von ihm die Entwicklung in Ostpreußen in einen gesamteuropäischen Zusammenhang gestellt.

Der zweite Abschnitt beschreibt die Entstehung der drei großen Antikensammlungen Ostpreußens in Königsberg, Beynuhnen und Braunsberg. Die Königsberger Sammlung entstand aus der Abgusssammlung des Lehrstuhls für Klassische Archäologie und Geschichte an der Albertus-Universität. Die Entstehungsgeschichte des Lehrstuhls und der Sammlung schildert Faensen erschöpfend und anschaulich und auch das weitere Schicksal des Instituts mit seinen Angehörigen bis 1945 wird von ihm ausführlich behandelt.

Erst spät ereichte der Museumsgedanke die ländlichen Regionen Ostpreußens. Fritz von Fahrenheid, Gutsbesitzer in Beynuhnen, verfügte über die bedeutendste Antikensammlung Ostpreußens. Anfangs in einem „Antikensaal“ präsentiert, beherbergte der 1865 fertig gestellte spätklassizistische Umbau des Herrenhauses nun Fahrenheids Sammlung zur Kunst der Antike und zur Kunst der Neuzeit des 15. bis 19. Jahrhunderts. Auch die Entstehung und Zusammensetzung der Sammlung Fahrenheids in Beynuhnen beschreibt Faensen umfassend. Der ausführlichen Biographie zu Fritz von Fahrenheids und der Baugeschichte des Herrenhauses schließt sich eine anschauliche Schilderung der einzelnen Räume des Schlosses an, die so eine Vorstellung der ehemaligen Pracht dieses Ensembles vermittelt. Schloss Beynuhnen wurde 1945 von der Roten Armee gesprengt. Dem Schicksal der Kunstwerke versuchte Faensen nachzugehen, ihr Verbleib muss jedoch als weitgehend ungewiss gelten.

Das Lyceum Hosianum in Braunsberg beherbergte ebenfalls eine Antikensammlung, deren Aufbau der Verdienst des Professors für Philosophie und Altertumskunde an der Philosophischen Fakultät des Lyceum Hosianum, Wilhelm Weißbrodt, war. Sie bestand vor allem aus Abgüssen und Originalen antiker Werke sowie Münzen und Architekturmodellen. Museum und Gipssammlung wurden 1945 zerstört, die epigraphische Sammlung befindet sich heute im Warschauer Nationalmuseum.

Die Entwicklung der archäologischen Sammlungen vollzog sich nach Faensen in Abhängigkeit von bildungs- und kulturpolitischen Zielsetzungen des preußischen Staates, wenngleich auch die individuellen Neigungen der Museumsleiter und Sammler das Konzept beinflusste.

Der dritte Abschnitt behandelt die Antikenbestände außerhalb der großen Antikensammlungen. Es sind die Sammlungen der Geschichts- und Altertumsvereine, an deren erster Stelle die Königsberger Altertumsgesellschaft Prussia steht. Auf rund 30 Seiten beschreibt der Autor kenntnisreich die Entstehung und Geschichte der Prussia Gesellschaft und des Prussia Museums in Königsberg. Seine Ausführungen gehören bislang sicherlich mit zum Besten und Informativsten was über die Prussia geschrieben wurde. Den Abschluss des Kapitels bildet eine Übersicht zu der im heutigen Muzeum Warmii i Mazur in Allenstein vorhandenen Antiken aus der ehemaligen Prussia-Sammlung.

Nachweise von Antiken finden sich auch in den Sammlungen der Altertumsgesellschaft Insterburg, den Schausammlungen des Domkapitels in Frauenburg, den Sammlungen des Vereins für die Geschichte des Ermlandes im Ostpreußischen Heimatmuseum in Heilsberg, dem Kunstgewerbemuseum in Königsberg und dem Bernsteinmuseum der Albertus-Universität Königsberg. Alle diese Sammlungen haben den zweiten Weltkrieg größtenteils nicht überlebt.

Dass antike Denkmäler über die museale Präsentation hinaus Gegenstand akademischer Forschung und Lehre waren erläutert Faensen im 4. Abschnitt seiner Arbeit. Neben der Albertus-Universität ist es vor allem die Königsberger Kunstakademie, die mit ihrer Sammlung und Ausbildung Archäologie und Kunstgeschichte ihren Schülern vermittelte. Zeichnen und Modellieren nach antiken Werken gehörte auch hier zur Ausbildung, zu deren Zweck ab 1844 die heute allesamt verlorenen Abgüsse angeschafft wurden. Besonderes Augenmerk legt Faensen auch auf den Kunstunterricht und die Sammlungen an den ostpreußischen Gymnasien, deren Rolle bei der Entstehung musealer Sammlungen bislang weitgehend unberücksichtigt blieb. Dabei geht er der Frage nach dem Stellenwert des Kunstunterrichts an den höhern Schulen in Preußen und dem Kunstunterricht an ostpreußischen Schulen nach. Betrachtet wird, in welchem Grade und in welcher Form an ostpreußischen Gymnasien Kenntnisse über antike Kunst vermittelt wurden, welche Mittel man dafür einsetzte und inwiefern es eigene Sammlungen gab. Das Kapitel beschließen Ausführungen zu ausgewählten Schausammlungen an verschiedenen Gymnasien (Gumbinnen, Lyck, Osterode und Braunsberg).

Das 5. Kapitel beschäftigt sich mit den in Ostpreußen vorhandenen Privatsammlungen antiker Stücke und Kopien, die Gutsbesitzer und kunstbegeisterte Stadtbürger angelegt hatten. Antiken oder deren Kopien in ostpreußischen Herrenhäusern fanden sich in Schlobitten, Dönhoffstädt, Steinort, Waldburg, Tüngen, Döhlau und Glaubitten. Die Sammlungen selbst gingen zum Teil in öffentliche Museen über, vielfach ist ihr heutiger Verbleib jedoch unbekannt. Gleiches gilt auch für die Objekte in bürgerlichen Sammlungen. Umgeben von Abgüssen trojanischer Helden schrieb Felix Dahn, Professor der Rechte an der Königsberger Universität, seinen Bestseller „Ein Kampf um Rom“.

Abschließend führt Faensen drei Stücke auf, die sich heute in Lidzbark Warminski (Heilsberg) und Kaliningrad (Königsberg) befinden und vermutlich aus ostpreußischen Privatsammlungen stammen. Sie stehen zugleich für den Verlust an Informationen und Denkmälern, als Folge des Zweiten Weltkrieg und der Zeit des Kalten Krieges.

Die Ausführungen des Autors zur Sammlungsgeschichte der Antikensammlungen in Ostpreußen ergänzen ein Verzeichnis zu Vorlesungen über Kunstgeschichte, Antike und Klassische Archäologie an der Albertus-Universität nach Professoren geordnet sowie Kataloge zu den Beständen des Archäologischen Museums in Königsberg, des Fahrenheid-Museums in Beynuhnen, und der Antikensammlung am Lyceum Hosianum in Braunsberg. Nach Denkmalgruppen geordnet werden die Stücke mit Inventarnummer und Literatur zum Nachweis in der Sammlung bzw. die Bibliographie zu den Originalen aufgeführt. Letzteres hat nach Aussage des Autors zwei Aufgaben zu erfüllen. „Zum einen ergeben sie einen Überblick über die Größe und Sammlungsziele in bestimmten Zeitabschnitten. Sie konkretisieren den originären Beitrag für die allgemeine Rezeption der Antike in der Provinz Ostpreußen. Zum anderen wird einer zukünftigen Förderung Genüge getan. Denn es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis auch die russischen Museumsdepots Wissenschaftlern und Kunstinteressierten geöffnet werden. Die Suche nach bisher verschollen geglaubten Kunstwerken kann durch diesen Katalog erleichtert werden“. Letzteres hält der Rezensent allerdings aus eigener Erfahrung im Umgang mit russischen Museumsstellen für frommes Wunschdenken des Autors.

Besondere Beachtung verdient auch der Tafelteil von Faensens Arbeit. Neben Antiken, die heute als Kriegsverlust oder als verschollen gelten, bietet er eine Übersicht zu den wichtigsten Personen, den ehemaligen Sammlungen und Gebäuden und – was besonders am Beispiel heutiger Fotos von Beynuhnen deutlich wird – zu dem kulturellen Verlust, der nach 1945 in Ostpreußen entstanden ist. Ebenfalls abgebildet sind Objekte, die bei seinen Recherchen in Polen und dem Kaliningrader Gebiet zutage kamen und möglicherweise so identifiziert werden können.

Faensens Arbeit ist in vielerlei Hinsicht lesenswert. Den Archäologen führt sie in eine aus dem Blickfeld der heutigen Forschung entschwundenen Region und zeigt deren verlorene Antiken. Für den Historiker bietet seine akribische Recherche zahlreiche Fakten und Erkenntnisse zur Forschungsgeschichte einer Region als Grundlage für übergreifende Betrachtungen zur Museums-, Geistes- und Kunstgeschichte Deutschlands vom beginnenden 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

Den Bewohner des ehemaligen Ostpreußens und deren Nachfahren führt sie einmal mehr anhand des Beispiels der Antikensammlungen die Tragik vor Augen, die der zweite Weltkrieg für dieses Land bedeutete.

Bertram Faensen, Antikensammlungen in Ostpreußen, 508 Seiten Text, 103 Schwarz-weiß- und 15 Farbtafeln, Bibliopolis 2011


Zu 3. Grischa Vercamer: Siedlungs-, Verwaltungs- und Sozialgeschichte der Komturei Königsberg im Deutschordensland Preußen

Die Dissertation stammt unmittelbar aus einem Zentrum der Deutschordens-Forschung, aus der Schule von Bernhart Jähnig an der Freien Universität Berlin. Vercamer verfolgt mit seinem umfangreichen Werk ein doppeltes Ziel. Einerseits liefert er eine Mikrostudie der Königsberger Komturei, die landeshistorisch eine in sich abgeschlossene Einheit bildete. Die Komturei war als Verwaltungssitz des Obersten Ordensmarschalls von hervorragender wirtschaftlicher und militärischer Bedeutung und empfiehlt sich zudem durch umfassend überlieferte Urkunden- und Güterverzeichnisse von der Quellenseite her. Besonders glücklich für den langen Untersuchungszeitraum, den Vercamer sich setzt, ist der Umstand, dass sie über den Zweiten Thorner Frieden von 1466 hinaus im Gegensatz zu den westlichen Komtureien wie Elbing und Danzig im Ordensbesitz blieb und unmittelbar bis zur Zeit der Umwandlung in ein weltliches Herzogtum 1525 die mittelalterlichen Strukturen behielt. Auf der anderen Seite versucht der Autor über das engere Thema hinauszugreifen. Er stellt die Geschichte der Komturei in den europäischen Zusammenhang der Ostsiedlung, um vergleichend vor allem zu siedlungshistorisch übergreifenden Aussagen zu kommen.

Nach einer präzisen Einleitung, die Thematik, Forschungsstand und Quellenlage skizziert, dann aber auch methodisch über das für den Band grundlegende digitale Arbeiten mit Karten informiert - und für eine Einleitung überraschend auch über Grundmaße wie Flächen, Längen, Mengen, Gewichte etc. -  kommt Vercamer zum ersten systematischen Abschnitt. Er diskutiert die natur- und kulturräumliche Gliederung der Landschaft. Von den natürlichen Rahmenbedingungen ausgehend, bei denen vor allem die Bewaldung und das Bernsteinvorkommen vertieft behandelt werden, richtet er den Blick auf die Siedlungslandschaften der Stämme, wie sie im 13. Jahrhundert vom Samland und Natangen im Nordwesten bis Sudauen im Südosten vorgefunden wurden. Den nächsten thematischen Block bilden die prußische Siedlungssituation und -formen sowie die Stammesgesellschaften in ihren Strukturen bis zur Eroberung durch den Deutschen Orden. Auf dieser Basis eröffnet Vercamer mit der Verwaltungsgeschichte der Komturei die Reihe seiner analytisch-deskriptiven Großkapitel über die Ordenszeit. Als die wesentlichen Elemente werden der Konvent, der Komtur, der Oberste Marschall und am Ende des betrachteten Zeitraums die hochmeisterliche und herzogliche Verwaltung mit ihren jeweiligen Ämteraufteilungen in den Blick genommen. Die nächste große Einheit bilden die ländlichen Siedlungsverhältnisse von 1255 bis 1540. Auch hier werden der frühe und der späte Zustand gegeneinander abgehoben. Nach der Ausgangslage und der Verwaltungs- und Agrarreform (Flurbereinigung) von 1393-1396 wird zum Schluss ein Siedlungsstillstand in den letzten Jahrzehnten konstatiert. Das vieldiskutierte Phänomen der Großen und Kleinen Freien und der erst späten Ausbildung des Adels wird unter den Aspekten der Siedlungstätigkeit, der Rechte und der Dienste und Abgaben entfaltet. Der sozialgeschichtliche Aufriss der Oberschichten findet sein Gegenstück im nächsten Kapitel, in dem es über den Stand und die Entwicklung der Bauern geht, wobei in wesentlich geringerem Maße lediglich nach Prußen, Deutschen und Litauern differenziert werden kann. Zum Abschluss werden als weitere auf dem Lande siedelnde soziale Schichten die Pfarrer, Krüger, Müller, Gärtner und Handwerker umschrieben, soweit die Terminologie der Quellen einen präzisen Zugriff erlaubt.

Die durchgehend in den genannten Kapiteln verfolgte Perspektive, die vom Orden vorgefundene Ausgangslage schichtenspezifisch mit der Entwicklung vom 13. bis zum 16. Jahrhundert zu konfrontieren, wird in der Schlussbetrachtung zur Synthese verdichtet. Als wichtigste Ergebnisse, die über die zahllosen regionalgeschichtlichen Details hinausweisen, verdienen vor allem zwei Punkte festgehalten zu werden. Mit ihnen wird zugleich wieder an die eingangs angedeutete Einbettung in die europäischen Zusammenhänge angeknüpft. Der krisenhafte Siedlungsniedergang des 15. Jahrhunderts wurde im weiteren 16. Jahrhundert nicht durch erneuten Zuzug aus dem Westen aufgefangen, sondern durch litauische Bauern. Das relativiert die bisherige Sicht europäischer Siedlungsströme nicht unerheblich. Zum anderen ist sozialgeschichtlich nicht einfach von einer Ablösung des Standes der Freien durch den aufkommenden Adel auszugehen, sondern die Freien spielten nachweisbar auch im 16. Jahrhundert noch eine bedeutsame Rolle.

Vercamer lehnt sich mit seiner regional konzentrierten Siedlungsgeschichte und der gleichzeitigen Anbindung an europäische Zusammenhänge an ganz aktuelle Forschungsansätze der Germania Slavica an. Er hütet sich, das für die Komturei Königsberg quellengesättigt, diskussionsfreudig und ergebnisstark herausgearbeitete Bild gleich auf europäischer Ebene überzustrapazieren. Weitere Forschungen dieses Formats könnten hier zu übergreifenden Schlüssen ermutigen. Auf jeden Fall ist mit Vercamers Arbeit ein bedeutsamer Schritt in diese Richtung getan.

In einem voluminösen Anhang wird die Quellenarbeit tabellarisch dokumentiert mit vor allem lokalhistorischen Erträgen. Die dabei verfolgten demografischen und strukturellen Analyseansätze sind grafisch umgesetzt (GIS) und in einer eigenen Kartentasche der Untersuchung beigegeben. Diese Form der Aufarbeitung ist keineswegs nur plakativ, sondern als flächige Systematisierung ein neuer, integraler Bestandteil landeshistorischer Forschung.

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um die vom Autor 2009 an der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin abgeschlossene Dissertation im Sonderforschungsbereich 644 „Transformation der Antike“.


Zu 4. Simon Dach im Kontext preußischer Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit
u.a. auch mit: Ein europäisches Juwel des Adels in Preußen. Die Wallenrodtsche Bibliothek und ihre Rekonstruktion.  Klaus Garber/ Hans-Günther Parplies (Hrsg.)

Am 15. April 2009 jährte sich zum 350. Mal der Todestag des Königsberger Barockdichters Simon Dach (1605-1659). Im populären Gedächtnis – nicht nur der Ostpreußen – ist das ihm zugeschriebene Gedicht bzw. Lied „Ännchen von Tharau" präsent, doch liegt die Bedeutung Dachs weit darüber hinaus in seiner weniger bekannten, in deutscher und lateinischer Sprache verfassten Lyrik, welche über die zu seiner Zeit gängige Gelegenheitsdichtung hinausweist und Dach in eine Reihe mit den bedeutendsten deutschsprachigen Dichtern des 17. Jahrhunderts, wie Opitz, Gryphius oder Fleming stellt.

Als Mittelpunkt des Dichter- und Freundschaftskreises der sog. „musikalischen Kürbishütte“ repräsentiert Dach das reiche kulturelle Schaffen Königsbergs und Preußens im Frühbarock. Seine Werke führen uns damit in eine Region, die von den Schrecknissen des Dreißigjährigen Krieges glücklicherweise nur aus der Ferne gestreift wurde,  und in eine Zeit, die gleichwohl von einer uns verloren gegangenen unzweifelhaften Gewissheit um die Gefährdungen wie die Grenzen menschlicher Verfasstheit geprägt war.

Aus Anlass des Todestages Dachs stellten Experten aus Deutschland, Litauen und Königsberg/Kaliningrad auf einer unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Klaus Garber, Osnabrück, stehenden, von der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen veranstalteten Fachtagung neueste Forschungsergebnisse zu Simon Dach vor. Der Band bietet die überarbeiteten und aktualisierten Beiträge der Tagung.

Zum Inhalt:
- Wladimir Gilmanov, Die „Kürbishütte der Welt“ in der Dichtung von Simon Dach
- Axel E. Walter, Simon Dachs Durchbruch als Dichter 1638/39
- Wilhelm Kühlmann, Simon Dach und Valentin Thilo (Thiel), zwei Kollegen in Königsberg. Kasualgedichte als ästhetische Kommunikation
- Misia Sophia Doms, „Wenn sich niemand kühn erzeigt, / Vnd, was sonst sol reden, schweigt, / Müssen Steine schreyen.“ – Simon Dachs dichterischer Umgang mit dem Leiden
- Klaus Garber, Ein europäisches Juwel des Adels in Preußen. Die Wallenrodtsche Bibliothek und ihre Rekonstruktion.

Literarische Landschaften, herausgegeben im Auftrag der Kulturstiftung der deutsche Vertriebenen, Band 13,
192 S., broschiert, Duncker & Humblot Berlin 2012, ISBN 978-3-428-13880-7
 

Zu 5. Theodor Lepner: Der Preusche Littau (1690), Herausgeberin und Übersetzerin Vilija Gerulaitienė

Das Buch des evangelischen Pfarrers Theodor Lepner (um 1633–1691) aus Budwethen bei Ragnit (Ostpreußen) gehört zu den ersten Schriften über die Kultur und Sprache der Litauer überhaupt. Der strenge Geistliche beschrieb in recht kritischer Weise die Lebensweise der litauischen Bauern Ostpreußens, auch um der preußischen Obrigkeit die Notwendigkeit des moralischen Einflusses der Gesetzgebung und der evangelischen Kirche darzulegen.

Die gedruckte Danziger Ausgabe aus dem Jahre 1744 galt schon vor 150 Jahren als bibliophile Rarität. In den 1970er Jahren wurde in Berlin in der Staatsbibliothek eine Handschrift dieses Werkes aus dem Jahr 1690 entdeckt, die nun als Quelle für die erste litauisch-deutsche Buchausgabe diente, die 2011 in Vilnius erschien. Das Buch der Herausgeberin und Übersetzerin Vilija Gerulaitienė ist ein herausragendes Zeugnis der litauisch-deutschen Kulturbeziehungen in Ostpreußen.


Zu 6. Wald-, Jagd- und Kriegserinnerungen ostpreußischer Forstleute, 1925 - 1945
Rothe, Wolfgang - Gautsch, Andreas
PRUSSIA-Schriftenreihe Werk 34
430 S., gebunden, ISBN 978-3-7888-1470-3


Zu 7. Rominten 1936 - 1944 - Das Fotoalbum des Forstmeisters Dietrich Micke
Rothe, Wolfgang - Wiemer, Daniela - Streufert, Carsten
PRUSSIA-Schriftenreihe Werk 37
160 S., gebunden, ISBN 978-3-7888-1502-8


Zu 8a. Bitner-Wróblewska, Anna (Red.), Archeologiczne ksiegi inwentarzowe dawnego Prussia-Museum / Die archäologischen Inventarbücher aus dem ehemaligen Prussia-Museum. Aestiorum Hereditas I (Olsztyn 2008)

Zu 8b. Nowakiewicz, Tomasz (Red.), Archeologiczne dziedzictwo Prus Wschodnich w archiwum Feliksa Jakobsona / Das archäologische Vermächtnis Ostpreußens im Archiv des Felix Jakobson. Aestiorum Hereditas II (Warszawa 2011)

Durch gemeinsame Anstrengungen deutscher, polnischer und litauischer Wissenschaftler entstanden Prussia-Inventarbücher

Bis zum Zweiten Weltkrieges galt Ostpreußen als eine der archäologisch am besten untersuchten Provinzen des Deutschen Reiches. Mit über 400000 Exponaten bildete die Prussia-Sammlung im Königsberger Schloss eine archäologische Sammlung von europäischem Rang.

Dieser Bestand galt ab 1945 als verschollen und schien für die archäologische Forschung verloren. Ab 1943 wurde die Prussia-Sammlung kriegsbedingt an unterschiedliche Orte ausgelagert, so dass die Sammlung auseinandergerissen wurde. Die Überraschung war groß, als 1990 124 Holzkisten mit etwa 50000 archäologischen Objekten und 50000 Seiten Archivmaterialien in Ost-Berlin in der Akademie der Wissenschaften der DDR auftauchten, die dort seit 1949 aufbewahrt und über die von den Beteiligten Stillschweigen vereinbart worden war.

Dieser Bestand befindet sich heute am Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte. Weitere Teilbestände liegen in Allenstein [Olsztyn] und Königsberg [Kaliningrad]. Über den Verbleib von 300 bis 400 Kisten, die nach 1945 Richtung Moskau verbracht worden sein sollen, herrscht bis heute Unklarheit.

Seit über 20 Jahren arbeiten nun Archäologen aus Deutschland, Polen, Russland, Litauen und Lettland gemeinsam an der Wiederentdeckung der archäologischen Funde aus der ostpreußischen Frühgeschichte. Auf diese Weise werden die Objekte praktisch zum zweiten Mal ausgegraben. Da nun aber oftmals der archäologische Kontext verloren ist, also die Information zu Fundort, -umständen, Grab- oder Siedlungszusammenhängen fehlen, kommt den Archivalien und den wissenschaftlichen Aufzeichnungen zum Verständnis der Bodenfunde eine besondere Rolle zu. Mit den beiden hier vorgestellten Bänden liegen zwei wichtige Bausteine aus Polen und Lettland vor, die für die aktuelle Forschung einen wertvollen Beitrag bei der Rekonstruktion der Archäologie Ostpreußens leisten werden.

Unter der Leitung von Anna Bitner-Wróblewska (Archäologisches Museum Warschau) sind 2008 die alten Inventarbücher des Prussia-Museums konserviert und vorgelegt worden. Die Inventarbücher und zahlreiche archäologische Funde konnten 1967/68 in den Ruinen des Südflügels des Königsberger Schlosses geborgen werden, bevor dieser Schlossteil gesprengt wurde. Wie viele Funde und eventuell weitere Inventarbücher dieser Sprengung zum Opfer gefallen sind, wird für immer unklar bleiben. Erst seit 2007 konnten die Inventarbücher durch die Unterstützung des Polnischen Staatsarchivs in der Konservierungswerkstatt von Allenstein restauriert und dokumentiert werden. Es handelt sich um 15 Bücher mit 1584 Seiten. Die Bücher waren im Jahre 2007 in einem ka-tastrophalen Zustand. Es ist die große Leistung der beteiligten Restauratoren und Archäologen, die Bücher vor einem erneuten Verlust bewahrt und der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt zu haben. Da auch zahlreiche archäologische Fundobjekte nach 1945 verloren gegangen sind, sind die Zeichnungen und Angaben in den Inventarbüchern zum Teil die einzigen Informationen, die sich zu den Objekten erhalten haben. Der Band stellt nicht nur die restaurierten Prussia-Inventarbücher als Faksimile vor, sondern bietet auch einen Überblick über die historischen und archäologischen Quellensammlungen und Forschungen in Ostpreußen vom

16. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg. Außerdem werden die Geschichte des Königsberger Prussia-Museums und der Prussia-Sammlung und die Arbeiten in Berlin und Königsberg nach 1990 zusammengefasst.

Ein bedeutender Aspekt dieser Publikation ist die gelungene Zusammenarbeit deutscher, polnischer, russischer und litauischer Kollegen, die das gemeinsame Interesse an der Aufarbeitung der ostpreußischen Vor- und Frühgeschichte verbindet. Anna Bitner-Wróblewska beschreibt diese Kooperation mit der Perspektive auf zukünftige gemeinsame Projekte so: „Glücklicherweise haben in Anbetracht der neuen politischen Realitäten alle verstanden, dass ein freier Informationsaustausch und Zugang zu den Sammlungen eine grundlegende Form des Kontakts zwischen Institutionen und Forschern darstellt.“ Bei der Identifizierung der Objekte aus den Inventarbüchern des Prussia-Museums haben die Aufzeichnungen des lettischen Archäologen Felix Jakobson (1896–1930) eine bedeutende Rolle gespielt, dem der zweite hier vorgestellte Band gewidmet ist. Jakobson studierte Archäologie bei Max Ebert in Riga und Königsberg und hat während seiner Studienzeit Tausende von archäologischen Objekten in den für ihn zugänglichen Sammlungen des östlichen Ostseeraums dokumentiert. Das Material dieses Bandes umfasst den „preußischen“ Teil seiner Aufzeichnungen, den Felix Jakobson in verschiedenen Museen, vor allem aber im Königberger Prussia-Museum angefertigt hat.

Der „lettische“ Teil ist bereits von Archäologen des Nationalen Museums der Geschichte Lettlands in Riga publiziert worden. Mit dem vorliegenden Band werden etwa 1600 Skizzenblätter, Karteikarten und Fotografien mit mehreren tausend archäologischen Objekten für die archäologische Forschung zur Verfügung gestellt. Die Bearbeiter geben dem Leser die hervorragend aufbereiteten Informationen zu 208 ostpreußischen Fundorten in einem Fundkatalog an die Hand und versammeln die Zeichnungen Felix Jakobsons auf einer CD. Mit Hinblick auf die großen Verluste der Prussia-Sammlung sind beide Materialvorlagen von unschätzbarem Wert für die archäologische Forschung in Ostpreußen. Dabei ist zu hoffen, dass auch in Zukunft die Wissenschaftler und Institutionen in den beteiligten Ländern gemeinsam daran arbeiten, dieser historisch gewachsenen europäischen Kernregion, trotz aller historischen Brüche, einen wichtiger Teil ihrer über die Grenzen hinweg identitätsstiftenden Geschichte zurückzugeben, die über Jahrzehnte verloren schien.

Seit 2011 werden mit der Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft die mittelalterlichen Funde der Prussia-Sammlung, die sich heute im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte befinden, wissenschaftlich aufgenommen und der Forschung zur Verfügung gestellt. Somit wird auch von deutscher Seite ein Baustein bei der gemeinsamen Wiederentdeckung der ostpreußischen Archäologie beigesteuert. Die aktuellen Forschungsergebnisse lassen sich unter www.prussia-museum.eu und www.smb-digital.de (Museum für Vor- und Frühgeschichte/Prussia-Sammlung) abrufen. Leitgedanke dieser gemeinsamen Bemühungen ist die fast zweitausend Jahre alte Weisheit des römischen Philosophen Seneca, die er in seinen Epistulae morales an seinen Freund Lucilium richtet und die das Motto des Felix Jakobson-Bandes bildet: „Niemals wird mir etwas Freude machen, mag es auch noch so trefflich und heilsam sein, was ich für mich allein wissen soll. Würde mir die Weisheit unter der Bedingung dargeboten, sie verschlossen zu halten und nicht zu verkünden, so würde ich sie zurückweisen. Ohne einen Genossen gibt es keinen erfreulichen Besitz irgendwelchen Gutes.“ Es bleibt zu hoffen, dass in diesem Sinne auch in Zukunft die noch ungehobenen Schätze und das „unausgesprochene“ Wissen Ostpreußens ans Licht kommen werden. N. Goßler/C. Jahn

Zu 9. Rikako Shindo, Ostpreußen, Litauen und die Sowjetunion in der Zeit der Weimarer Republik
888 Seiten, Verlag Duncker & Humblot 2013
Gebundenes Buch   ISBN 978-3-428-13823-4, E-Book  ISBN 978-3-428-53823-2
Buch und E-Book      ISBN 978-3-428-83823-3

Die Untersuchungen beziehen sich überwiegend auf den Zeitraum vom Waffenstillstandsvertrag 1918 bis zum Anfang der 30er Jahre. Die grundlegende Situation Ostpreußens in dieser Epoche wird bereits in der 32-seitigen Einleitung umfassend dargestellt. In dem in drei Teile thematisch gegliederten Werk wird vordringlich auf die Versuche des Oberpräsidenten für die Beseitigung der Notlage seiner Provinz eingegangen, da sich die Forschungen hauptsächlich auf die Akten des Oberpräsidiums, der Ostpreußischen Vertretung beim Reichs- und Staatsministerium in Berlin sowie der preußischen Zentralministerien stützen. Die einschlägigen archivalischen Quellen wurden primär im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, im Bundesarchiv Abteilung Reich und im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes ausgewertet.

Im ersten Teil beschreibt die Verfasserin Bemühungen, Konferenzen wie die erste Ostpreußenkonferenz, das Ostpreußenprogramm von 1922 und auch die Pläne für die Errichtung eines Oststaates sowie das Scheitern der Autonomiebestrebungen. Die Rolle der Ostpreußischen Vertretung beim Reichs- und Staatsministerium in Berlin in Verbindung mit den Reichs- und Parteiinteressen wie auch der Not Ostpreußens in den Jahren 1926-1932 wird kompetent und ausführlich dargelegt. Eine Schlüsselposition haben in jener Zeit die Bestrebungen des Oberpräsidenten zur Erlangung weitreichender Befugnisse aufgrund der Isolierung der zur Exklave gewordenen Provinz Ostpreußen nach dem Inkrafttreten des Versailler Vertrags gespielt. Die Hilfsanträge des Oberpräsidenten Ernst-Ludwig Siehr wurden jedoch in Berlin nicht immer befürwortet. Grund hierfür waren die erheblich divergierenden Ziele und Erwartungen. So prallten zum Einen die Wünsche des Oberpräsidenten und die Auffassungen der gesamtstaatlichen Regierungen aufeinander, zum Anderen lag es an der übergreifenden nationalen und internationalen Lage.

Die Ausführungen und Darstellungen im zweiten und dritten Teil beschäftigen sich mit den erweiterten Befugnissen sowie die daraufhin wahrgenommenen Verhandlungen des Oberpräsidenten auf die deutschen Beziehungen zu Litauen und die Rußlandpolitik des Magistrats von Königsberg.

Besondere Beachtung verdienen die hier erstmals zusammenhängend behandelten deutsch-litauischen Verträge der 1920er Jahre, welche bisher in anderen Studien und Abhandlungen lediglich beiläufig erwähnt wurden. Hierzu werden der erste Deutsch-Litauische Handelsvertrag vom Juni 1923 – zu einem Zeitpunkt also, als die Memelkonvention noch Gegenstand schwebender Verhandlungen war – sowie das vom Oberpräsidenten unterzeichnete, vorerst als geheim eingestufte Deutsch-Litauische Binnenschifffahrtsabkommen vom September 1923 näher untersucht. Die Autorin weist darauf hin, dass mit Rücksicht auf Polen das Abkommen erst nach seiner Außerkraftsetzung (1928) im Jahr 1930 in der Gesetzessammlung des litauischen Außenministeriums veröffentlicht wurde.

Auch bleibt die bisher überwiegend auf litauische Quellen basierte und publizierte Darstellung, dass der litauische Einmarsch ins Memelgebiet 1923 im Einvernehmen mit der Reichsregierung erfolgte, nicht unerwähnt. Jedoch verweist die Autorin zu dieser Frage nicht bloß auf den litauischen Forschungsstand. Statt dessen wurde die Frage des Einmarsches aufgrund von bisher weitestgehend unbeachteten Zusammenhängen mit den Handelsvertragsverhandlungen unter Hinzuziehung der deutschen archivalischen Quellen in einem etwas anderem Lichte beleuchtet – diese aktuellen Erkenntnisse verdienen wahrlich eine Beachtung.

Mehr als nur zur Abrundung der Betrachtung umfassen die Ausführungen ebenfalls die politischen Entwicklungen der Region in und um Ostpreußen wie die belasteten polnisch-litauischen Beziehungen jener Zeit. Exemplarisch sei hier die gescheiterte polnisch-litauische Konferenz 1928 in Königsberg sowie das Gutachten des Haager Ständigen Internationalen Gerichtshofes von 1931 über den polnisch-litauischen Streit um den Eisenbahntransitverkehr genannt.

Der dritte Teil thematisiert das Königsberger Rußlandgeschäft nach dem Ersten Weltkrieg. Dabei wird hauptsächlich die Rußlandpolitik des Königsberger Magistrats unter Oberbürgermeister Hans Lohmeyer im Zusammenhang mit den deutsch-sowjetischen Handelsvertragsverhandlungen analysiert. Das im Rahmen des deutsch-sowjetischen Handelsvertrags zustande gekommene Eisenbahnabkommen wurde durch zwei vertrauliche Noten ergänzt, die unmittelbar die Wirtschaftsinteressen Königsbergs betrafen.

Die Detailtiefe des Buches wird auch durch die Einbeziehung des Friedensvertrages von Brest-Litowsk vom 3. März 1918 oder auch durch die Behandlung des deutsch-polnischen Wirtschaftskriegs von 1925 deutlich. In diesem Kontext wird ebenfalls das ostpreußische Verhältnis zur Sowjetunion, welches vornehmlich mit dem Fokus auf die wirtschaftlichen und nachbarschaftlichen Vernunftperspektiven der Zeit ausgerichtet war, ausführlich behandelt. Hierbei ist exemplarisch das vitale Interesse des Königsberger Oberbürgermeisters Hans Lohmeyer im Rahmen seiner Wirtschafts- und Rußlandpolitik in Verbindung mit der Ostmesse zu nennen, welches auf die Wiederherstellung des vormals florierenden Handels mit Rußland abzielte.

Bei der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich um eine von der Autorin 2008 bei der Humboldt-Universität zu Berlin eingereichte Dissertation im Forschungsbereich Geschichtswissenschaften. Das Buch wird sicherlich dazu beitragen, der Verfasserin eine Reputation als ausgezeichnete Kennerin der Wirtschaft und Politik Ostpreußens nach dem I. Weltkrieg zu verschaffen.

In der Gesamtschau lässt sich konstatieren, dass das Lesen des Buches nicht nur Historikern aufgrund des zum Teil erstmalig ausgewerteten Quellenmaterials eine Reihe von Denkanstößen geben kann, zumal weil in Zeiten des relativen Bedeutungsverlustes der Entwicklungen Ostpreußens in der ersten Dekade nach dem I. Weltkrieg alleinig die umfangreichen Literatur- und Quellenangaben sowie die im Anhang sich befindlichen Dokumente, Karten und Statistiken zu weiteren Recherchen anregen.   

Zu 10. Christian Tilitzki: Die Albertus-Universität Königsberg. Die Geschichte von der Reichsgründung bis zum Untergang der Provinz Ostpreußen, Bd. 1: 1871-1918, München: Oldenbourg 2012, X + 813 S., ISBN 978-3-05-004312-8

Zu 11. Aus der Reihe Orte der Reformation [Journal 18]: Königsberg und das Herzogtum Preußen

Hrsg. von Lorenz Grimoni und Andreas Lindner. Gefördert u.a. von der PRUSSIA-Gesellschaft

Zu 12. Die Reformation im Großfürstentum Litauen und in Preußisch-Litauen (1520er Jahre bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts)
Litauischer Originaltitel: Reformacija Lietuvos Didžiojoje Kunigaikštystėje ir Mažojoje Lietuvoje 
Sprache: Deutsch, 600 Seiten, Gebundenes Buch:  ISBN 3960230648

Welche kulturellen Entwicklungen vollzogen sich in den Gesellschaften des Großfürstentums Litauen und des Herzogtums Preußen im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als sich während eines einzigen Säkulums der kulturelle Horizont der Region fundamental wandelte? Welche Möglichkeiten eröffnete die Reformation &8211; diese vielfältige religiöse, kulturelle und gesellschaftliche Bewegung &8211; zur Lösung der kulturellen Probleme in diesem Gebiet? In welchem Ausmaß fand die Reformation statt und welche ihrer Strömungen entstanden hier? Welche Rolle spielte die Reformation, welchen Beitrag leistete sie bei der intensiven Modernisierung der Kultur dieser Region?
Das vorliegende Werk untersucht das Verhältnis der Gesellschaft zur Schrift, zum Lernen, zur Presse, zum Buch in den verschiedenen Muttersprachen und nimmt die sich ausweitenden Kontakte zu europäischen Wissenschafts- und Verlagszentren, den Wandel des Glaubens und der Glaubensauffassungen unter die Lupe, von denen Briefe und Werke der Magnaten, der Adligen des litauischen Staates, der Kulturschaffenden in Preußisch-Litauen, alte Bücher und zahlreiche Dokumente in den Archiven Litauens, Polens und Deutschlands zeugen. Der Forscherinnenblick sucht nach bislang unbeachtetem und unerforschtem empirischem Material, wägt die Interpretationen der bereits bekannten Fakten ab, versucht, die allgemeinen Entwicklungs- und Bewegungslinien zu verstehen und zu untersuchen und kommt letztlich zum Schluss, dass die Reformation in der Region ein Brennglas der kulturellen Innovation und Interaktion war.


Zu 13. Altpreußisch. Geschichte, Dialekte, Grammatik
Rinkevičius, Vytautas: Altpreußisch, Geschichte - Dialekte - Grammatik
Schriftenreihe der Gesellschaft für Baltische Studien 1
255 Seiten, kartoniert, 15,5 x 23 cm, ISBN 978-3-935536-47-9

Da die letzte deutschsprachige Darstellung des grammatischen Systems des Altpreußischen und seiner Geschichte bereits Jahrzehnte zurückliegt, stellte eine dem heutigen Forschungsstand entsprechende altpreußische Grammatik in deutscher Sprache ein Desiderat dar, dem der vorliegende Band von Vytautas Rinkevičius Abhilfe schaffen möchte. Das ursprünglich auf Litauisch verfasste Buch, liegt nun in einer eigens für die Übersetzung revidierten Fassung vor und zeichnet sich durch zwei bislang nicht übliche Vorgehensweisen bei der Darstellung aus: durch die konsequent getrennte Behandlung der beiden Dialekte, des pomesanischen und des samländischen, in die sich die Sprache gliedern lässt, und die Darstellung ihres Akzent- und Intonationssystems im gesamtbaltischen Kontext. Abgerundet wird das Buch durch einige Lesestücke mit beigegebenen Faksimiles. Baltisten, Indogermanisten und Typo-
logen sollten auf das Buch ebenso wenig verzichten können wie deren Studierende, die die übersichtliche und dennoch informationsreiche Darstellung als Hilfe beim Einstieg ins Altpreußische schätzen werden.
Das Buch richtet sich nicht nur an Baltisten und Indogermanisten, auch der am Prußischen interessierte Laie wird aus der Lektüre dieses Buches Nutzen ziehen können.


Zu 14. Rezension „Luftbild-Atlas der Rominter Heide, Stadt und Kreis Goldap“
Die Genese des „Luftbildatlas der Rominter Heide, Stadt und Kreis Goldap in Ostpreußen" habe ich aus einer gewissen räumlichen Distanz, aber stets mit sehr großer Sympathie und ebensolchem Verständnis für die zahlreichen Herausforderungen verfolgt, denen sich Wolf-gang Rothe als Verfasser zu stellen hatte. Umso mehr freue ich mich über sein und Seiner Mitstreiter Beharrungsvermögen und Zielstrebigkeit auch in nicht einfachen Zeiten. Hat dies doch dazu geführt, dass der Band 50 der gemeinsam von der PRUSSIA, Gesellschaft für Geschichte, Archäologie und Landeskunde Ost und Westpreußens e.V. und der Kreisge-meinschaft Ebenrode/Stallupönen e.V. herausgegebenen Schriftenreihe nun vorliegt und gleichermaßen aufgrund der auf jeder Seite erkennbaren profunden Expertise des Verfassers wie der technischen und gestalterischen Exzellenz der Publikation überzeugt.
Die bravouröse Verbindung der einschlägigen Luftbildaufnahmen der deutschen Luftwaffe aus den Jahren 1944/45 und somit den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs, von mit einer Drohne oder vom Hubschrauber aufgenommenen aktuellen Fotografien, der dazu passenden Messtischblätter und von in Zahl wie Qualität absolut beeindruckenden Illustrationen - gleich-ermaßen etwa Ansichtskarten wie Fotografien, häufig des Verfassers selbst - macht den Luftbildatlas zu einer „Augenweide". Ein Werk, das man immer wieder in die Hände nehmen möchte, um einmal mehr aus dem enthaltenen Wissensspeiche schöpfen, Neues zu entde-cken oder sich einfach an den beeindruckenden Abbildungen zu erfreuen. Würde man die Bewertung der Leistung des Autors und seiner Unterstützer aber darauf beschränken, so wä-re dies eindeutig-zu kurz gegriffen. Und hier gelange ich zu einem Punkt, der mich ein Wenig nachdenklich, um nicht zu sagen traurig stimmt: Denn natürlich können wir nicht die Augen davor verschließen, dass Wolfgang Rothe mit diesem Luftbildatlas ein „magnum opus" vor-legt, das geprägt ist durch eine Kenntnis der Materie, wie sie nur Angehörige der Erlebnisge-neration in dieser Form und Tiefe vor Ort erwerben konnten und die Nachgeborenen vermut-lich in dieser Fülle verschlossen bleiben wird.
Aber lassen wir uns hier nicht das halbleere, sondern das halbvolle Glas sehen und treuen wir uns darüber, dass der Verfasser seiner ohnehin schon beeindruckenden Publikationsliste (enthalten auf den Seiten XVIII bis XX des Atlanten) dieses ganz besondere Werk hinzufügen konnte.
Der Luftbildatlas besteht aus sechs zentralen Teilen, die einerseits eng miteinander ver-schränkt sind, andererseits aber den an bestimmten Aspekten oder Fragestellungen Interes-sierten jeweils auch für sich tiefe Einblicke und Erkenntnisse vermitteln: Zu dem zentralen Ort der Dokumentation: Rominten, zu den Forstämtern der Rominter Heide, den dortigen Dör-fern, markanten Jagen, zur Stadt Goldap und zu den Goldaper Dörfern. Angesichts der ur-sprünglich geplanten Veröffentlichung des Bandes in einem Jagdverlag wie auch der diesbe-züglichen Interessen des Verfassers kann es nicht überraschen, dass der Jagd und ihrer Ge-schichte, berühmten Jägern, den Forstämtern wie den Revierförstereien und damit Zusam-menhang der Wald- und Forstgeschichte der beschriebenen Region wie auch Ostpreußens als Gesamtheit eine große und wichtige Rolle in Wolfgang Rothes neuestem Buch zukommt.
Von diesem Fakten- und Kenntnisreichtum werden aber auch alle diejenigen profitieren kön-nen, die sich beispielsweise für die Verwaltungs- und Sozialgeschichte dieses Teils Ostpreu-ßens interessieren. Überhaupt ist zu konstatieren, dass der Luftbildatlas sich an unterschiedli-che Zielgruppen von möglichen Leserinnen und Lesern richtet: Hierzu zählen sicherlich vor allem diejenigen, die sich unter genealogischen wie orts- bzw. regionalkundlichen Aspekten mit diesem Kontaktgebiet zwischen dem heutigen Polen, Litauen und dem Kaliningrader Ob-last' der Russischen Föderation beschäftigen. Hervorheben möchte ich In diesem Zusam-menhang zugleich, wie sehr und wie erfolgreich sich Wolfgang Rothe durchgehend bemüht hat, seinen Atlas auch für diejenigen verständlich und nutzbar zu machen, die die Region eben nicht mehr aus eigener Erfahrung kennen und mit den örtlichen Gegebenheiten somit deutlich weniger vertraut sind.
Leider ist es an dieser Stelle nicht möglich, auf alle Punkte einzugehen, die im Hinblick auf den Luftbildatlas als bemerkenswert erscheinen, gibt es derer doch so viele und so unter-schiedliche. In technisch-gestalterischer Hinsicht bedarf aber die bewundernswerte Mühe und Präzision einer Erwähnung, mit der die Familie Mildenberger bei fehlenden oder unvollständi-gen Luftbildaufnahmen eine sich ergänzende Darstellung der zu dokumentierenden Gebiete unternommen hat und wie überzeugend sich die Senkrechtluftbilder der Deutschen Luftwaffe, spätere Aufnahmen und Meßtischblätter immer wieder ergänzen. Deren Leistung zu einem höchst-ansehnlichen Layout und gelungener Gestaltung fasziniert.
Als Linguisten beeindruckten mich beispielsweise die Ausführungen zu den Ortsnamen der Region bis 1934 und zur fehlenden Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung für die dann ab 1938 verwendeten abweichenden Bezeichnungen einerseits und die Einblicke in die für diese Region typischen Toponyme altpreußischen bzw. litauischen Ursprungs andererseits. Aber auch alle an Zeitgeschichte Interessierten werden von Wolfgang Rothes Schilderungen seiner Besuche in der Region rund um die Jahrtausendwende profitieren, in denen etwa die Zu-gangsbeschränkungen auch für russische Staatsangehörige geschildert werden. Insofern ist zu konstatieren, daß der Verfasser vorausschauend ein begrenztes Zeitfenster nutzte, in dem ihm ein Besuch vor Ort - wenn auch sicherlich unter erheblichen Mühen - möglich war. Seit dem Jahre 2022 und vermutlich noch in vielen kommenden Jahren dürfte dies in dieser Form nicht mehr möglich sein, was seinem Buch auch in dieser Hinsicht den Charakter eines histo-rischen Dokuments verleiht.
Hervorgehoben werden muss auch der Charakter des Luftbildatlas als eines Nachschlage-werkes zu einzelnen - auch sehr kleinen - Orten der geschilderten Region mit wertvollen und andernorts nur schwer oder gar nicht zu findenden Angaben zu (Erst)Erwähnungen, Größe, Einwohnerzahl, Infrastruktur und auch Holzbestand.
Ergänzt wird der Band durch ein Vorwort, das zugleich eine schlüssige Einführung in die Me-thodik bietet, ein mehrsprachiges geographisches Verzeichnis, eine Bibliografie, Verzeichnis-se der Abkürzungen und Begriffe wie auch der Senkrechtluftaufnahmen sowie Anmerkungen zum Autor und den übrigen Mitwirkenden. Die große Sorgfalt des Verfassers machen dabei etwa auch die Ortsverzeichnisse deutlich, die in zwei Teilen vorliegen, nämlich den nach 1938 gebräuchlichen Bezeichnungen und den bis 1934 in Verwendung befindlichen, wobei die eine und die andere Bezeichnung einander stets gegenübergestellt werden. Auch dies stellt eine große Hilfe für alle diejenigen dar, die mit diesen Gegebenheiten nicht in gleicher Weise vertraut sind wie der Zeitzeuge Wolfgang Rothe.
Der vorliegende Band unterstreicht, wie gut, wie richtig und wie wichtig es war, Wolfgang Rothe und seinem Arbeitsteam die von ihm benötigten Senkrechtluftaufnahmen aus den Be-ständen unserer Kartensammlung zur Verfügung zu stellen. Sie bilden quasi eines der Fun-damente, auf denen ein Werk ruht, für das allen Beteiligten große Anerkennung für die enor-me Arbeitsleistung auszusprechen ist, die sie in das Zustandekommen dieses herausragen-den Bandes investiert haben. Ihnen sei zugleich auch im Namen aller zukünftigen Nutzerin-nen und Nutzer sehr herzlich dafür gedankt.
Dr. Jürgen Warmbrunn Stellvertretender Direktor des Herder-Instituts
Leiter der Forschungsbibliothek des Herder-lnstituts


Zu 15. Rezension "Stange, Jörg Ulrich: Ostpreußen unter der Zarenherrschaft 1757–1762: Russlands preußische Provinz im Siebenjährigen Krieg"
Herausgeber: Olzog ein Imprint der Lau Verlag & Handel KG
ISBN-10 ‏ : ‎ 3957682487, ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3957682482

Als Zarin Elisabeth in Ostpreußen regierte
Jörg Ulrich Stange widmet sich in seiner Arbeit „Ostpreußen unter der Zarenherrschaft 1757–1762“ einem fast vergessenen Kapitel preußischer Geschichte
Wulf D. Wagner in Preußische Allgemeine Zeitung, 28.09.2023
„Nicht nur, daß er [...] den Deutschen zum gemeinsamen Helden wurde, zu einem
Symbol, in dessen Verehrung ihr zerissenes Gefühl sich zum erstenmal wieder einigte, sondern seine Taten und Leiden erwarben ihm die Teilnahme, die populäre Begeisterung aller Völker. Ja, seine Niederlagen nicht
weniger als seine Siege beschäftigten nah und fern die Herzen der Menschen [...].“
Lange ist es her, dass Thomas Mann so in seinem Essay „Friedrich und die große Koalition“ über Friedrich den Großen und den Siebenjährigen Krieg schrieb: bissig-ablehnend und zugleich mit verständiger Verehrung, kritisch- und zugleich zugewandt-fragend nach dem Wesen, dem Wirken, der einsamen Größe König Friedrichs II. von Preußen.
Man war damals – 1914 – deutlich weiter im Nachdenken über den Großen König als heute. Viel grundlegend Neues kam seither an Forschungen kaum hinzu, viel einseitig Unsinniges schon. Mittlerweile verklingen zwar die verdrehtesten Angriffe von Historikern gegen Friedrich, und doch wird „der Große“ gerne in Anführungszeichen gesetzt oder des Königs Handeln aus dem europäischen Kontext und den europäischen Zwängen herausgelöst, um sein kriegerisches Handeln oder sein Kirschenessen zu isolieren und zu verurteilen. Das ist durchschaubar und langweilig – aber leider bis heute sehr wirkmächtig.
Vermeintliche Gewissheiten
Auch Jörg Ulrich Stange folgt in seiner hier zu besprechenden Studie „Ostpreußen unter der Zarenherrschaft“ manch vermeintlicher Gewissheit über Friedrich den Großen, unter anderem der von der vermeintlichen „Verantwortungslosigkeit“ des Königs, weil er Ostpreußen im Stich gelassen habe, als er 1757/58 die Provinz den Truppen der russischen Kaiserin preisgab. Aber Stanges Kritik entspringt seiner Zuneigung für Ostpreußen, und so sei ihm dieser das ansonsten sachliche Buch durchziehende Tick nicht verübelt.
Ende Juni 1757 war es, als mit der russischen Kanonade auf Memel der langsame Einmarsch der Armee Zarin Elisabeths in Ostpreußen begann. Erst am 30. August kam es zur größeren Schlacht; die Russen unter General Stepan Apraxin siegten über die Preußen bei Groß Jägersdorf nahe Wehlau. Damit war auch Ostpreußen zum Kampfplatz im Siebenjährigen Krieg geworden, jenem weltumspannenden Krieg, in dem England und Frankreich um ferne Kolonien kämpften; Österreich erneut versuchte, Schlesien zurückzugewinnen, sowie Russland, Frankreich, zahlreiche Reichsfürsten und dann sogar Schweden Österreichs Maria Theresia gegen Friedrichs Preußen beistanden. Dem waren diplomatische Gespräche, Intrigen, Bestechungen, Verwicklungen und Bündniswechsel vorangegangen – und Stange zeichnet dieselben im ersten Viertel seines Buches gut nach, um sich dann Ostpreußen, dessen Schicksal im Siebenjährigen Krieg im Zentrum seiner Arbeit steht, immer mit dem Blick auch nach St. Petersburg zuzuwenden.
Lob der älteren Literatur
Dass Stange dabei auf wichtige ältere Literatur zurückgreift, muss ihm angerechnet werden, denn im Gegensatz zur gerne angerufenen „neueren Forschung“ bleiben diese Werke zur Geschichte Preußens und dem großen König hinter den gründlichen Forschungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zurück. Diese waren mit den seit 1886 erschienenen drei Friedrich-Bänden von Reinhold Koser zum König nicht nur grundlegend, sondern nicht zuletzt mit Essays wie jenem von Thomas Mann gedanklich anregender als manches heute als Standardwerk gepriesene Buch. Daher nennt Stange zu Recht Koser, aber weder Christopher Clarks „Preußen“, da Ostpreußen in ihm kaum eine Rolle spielt, noch Johannes Kunischs „Friedrich der Große. Der König und seine Zeit“, das seitenlang bis zur Reihenfolge von Zitaten auf Koser fußt.
Stanges gesamtgeschichtliche Darstellung etwa zur Diplomatie, dem Kriegsablauf oder den Regierungswechseln in Russland 1762 stimmen zum Beispiel mit dem weitgehend vergessenen zweibändigen Meisterwerk von Wilhelm Oncken „Das Zeitalter Friedrichs des Großen“ (1881/82) überein. Und wenn Stange Oncken auch nicht nennt, so doch zahlreiche jener Werke, auf denen schon Onckens Darstellung fundiert war.
Auf breiter Grundlage also entsteht mit „Ostpreußen unter der Zarenherrschaft“ nach tatsächlich sehr langer Zeit eine lesenswerte Zusammenfassung der Ereignisse, die all jenen zu empfehlen ist, die die ältere Literatur – vor allem Xaver von Hasenkamps „Ostpreußen unter dem Doppelaar“ (1866) – nicht zur Hand haben. Stange führt durch die fünfeinhalb Jahre der Besatzungszeit, schildert die große Politik, das Grauen des ersten Russeneinfalls 1757, das dann friedliche, feierreiche und leichte gesellschaftliche Zusammenleben von Russen und Preußen in Königsberg und endet mit dem Frieden 1762. Das liest sich kurzweilig, teilweise spannend, wobei hier und da die kritischen Anmerkungen des Autors mit Gewinn zu lesen sind.
Was bewegte Friedrich den Großen?
Bei dieser detailreichen Darstellung hätte es der Autor belassen können, um geschichtlich interessierten Lesern ein ausgewogenes Bild von den Jahren 1757 bis 1762 in Ostpreußen zu vermitteln. Aber Jörg Ulrich Stange scheint mehr zu wollen, meint, sich gegen „vaterländisch gesinnte Historiker des 19. Jahrhunderts“, gegen die vermeintlich „stark nationalistisch gefärbte Darstellung Xaver von Hasenkamps“, aber auch russische Autoren absetzen zu müssen. Stange will „die erste Monografie dieses Gegenstandes, die frei von borussophiler Siegerverklärung und antirussischer Voreingenommenheit“ sei, vorlegen. Das ist viel gewollt, zumal wenn man nicht ins Archiv geht, russische Quellen kaum zur Kenntnis nimmt – auch nicht John Keeps auf denselben aufbauenden Aufsatz „Die russische Armee im Siebenjährigen Krieg“ (1989). Dabei zeigen nicht zuletzt das Werk Hasenkamps oder auch Fritz Gauses Königsberger Stadtgeschichte, dass der Autor in dieser Hinsicht nichts wirklich Neues zu berichten hat.
Nicht zuletzt mit Blick auf die wichtigen Forschungen, die Stanges Literaturverzeichnis auflistet, verwundern seine Urteile. Vor allem, dass er bei den schon die Zeitgenossen beschäftigenden Rätseln und Vermutungen bleibt, wo andere Historiker, wie Wilhelm Oncken, Alexander Brückner, John Keep oder Wolfgang Neugebauer, sich deutlicher positionierten, etwa wenn Stange nach den Gründen für den Abzug Apraxins oder dem Befehl Friedrichs II., seine Armee aus Ostpreußen nach Pommern abzuberufen, fragt. Dabei weiß er durchaus um die langjährige Freundschaft zwischen dem russischen Kaiserhaus und den preußischen Königen, er weiß um Friedrichs II. Hoffnung, dass mit dem Tod der ihm feindlich gesonnenen Zarin Elisabeth zu rechnen war, und dass ihr Nachfolger Peter III. einer seiner Bewunderer war, von dem er Frieden erwarten durfte – und bekam.
Statt bei einer neutralen Darstellung zu bleiben, wiederholt sich der Autor mit seiner Meinung von der vermeintlichen Arroganz, ja dem Verrat des Königs gegenüber Ostpreußen. Allein die Behauptung, dass es ein „schwerer strategischer Fehler“ gewesen sei, den Feind ins eigene Land einmarschieren zu lassen, müsste dann doch mit Blick auf die militärische Gesamtlage Brandenburg-Preußens 1757/58 genauer belegt werden. Stange referiert hier nur verschiedene ältere Überlegungen, moralisiert und blendet die anderen Kriegsschauplätze aus. So muss er dann doch gefragt werden, was dem König bei der gegen ihn stehenden Allianz europäischer Großmächte anderes übriggeblieben wäre, als Ostpreußen den Russen zunächst (!) zu überlassen?
Leider werden auch jene nicht tot zu kriegenden Legenden von der Unversöhnlichkeit des Königs gegenüber der der Zarin huldigenden Provinz und von des Königs Vernachlässigung Ostpreußens nach dem Siebenjährigen Krieg bemüht. Mag Friedrich der Große noch lange gegrummelt haben, mag er Ostpreußen nicht mehr bereist haben – weil andere Provinzen seiner Aufmerksamkeit bedurften –, so kann von einer Vernachlässigung Ostpreußens nicht die Rede sein. Immerhin liegen noch zahlreiche Akten zur Heilung der Kriegsschäden vor. Und außerdem lässt sich bei aller Zuneigung zu Ostpreußen nicht leugnen, dass die Provinz im 18. Jahrhundert (!) hinter den kulturell reicheren westlichen Gebieten des Staates und besonders hinter dem vom König gewonnenen österreichischen Schlesien durchaus zurückstand. Dies war aber nicht allein des Königs und nicht nur des 18. Jahrhunderts Meinung, wenn auch zumindest Immanuel Kant dies – sein Königsberg preisend – durchaus anders sah.
Eine wichtige Arbeit über ein lange vernachlässigtes Thema
So gründlich Stanges Heranziehung selbst seltener Literatur ist und so sauber die allermeisten Abschnitte des Buches redigiert sind, so unverständlich sind jene groben Fehler, die ihm auf den Seiten 79 bis 81 unterlaufen, wenn er Herzog Albrecht ohne männliche Erben sterben lässt, Friedrich Wilhelm I. zum ersten König in Preußen macht, dann Friedrich I. zum Nachfolger Friedrich Wilhelms I. erklärt und schließlich Friedrich Wilhelm I. erst 1726 nach Ostpreußen kommen lässt. Gerade dieser König, Vater Friedrichs II., war es, der mit größter Zugewandtheit seine von der Pest verheerte Provinz wieder auf die Höhe brachte und sie wirtschaftlich erholt und neu bevölkert dem Erben hinterließ, wobei die Domänen dem Gesamtstaat wichtige Einnahmen lieferten, es also nicht „nur um die finanzielle Unterstützung der entfernten und rückständigen Provinz ging“. Finden sich dann noch Ungereimtheiten wie: „Die Menschen zwischen Weichsel und Memel waren in ihrer östlichen Randlage eigentlich Fremde im Staate Brandenburg-Preußen“, so fasert der Autor gegen Ende durch sein Steckenpferd, den Versuch einer Rehabilitierung Zar Peters III., sein Buch leider aus. Hilfreich sind wiederum die ausführliche Zeittafel und der Wiederabdruck zahlreicher wichtiger Dokumente – leider auch dies nur aus der Literatur (erneut Hasenkamp!), nicht aus eigenem Aktenstudium.
Trotz der Kritikpunkte ist Jörg Ulrich Stanges Buch eine wichtige Arbeit über ein lange vernachlässigtes Thema ostpreußischer Landesgeschichte. Zudem spielt der Autor, dem manches übereilte Urteil aufgrund seiner Zugewandtheit zu Ostpreußen zu verzeihen ist, schließlich auf aktuelle Ereignisse an und erinnert dankenswerterweise an das durchaus friedliche Zusammenleben und -wirken von Russen und Preußen vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Und so mag sein Buch auch als ostpreußischer Beitrag zur Überwindung der Feindschaften unserer Tage gelesen werden.
Dr. Wulf D. Wagner ist Architektur-historiker und Publizist. Zu seinen Werken gehören eine zweibändige Geschichte des Königsberger Schlosses (Schnell & Steiner 2008 und 2011) sowie „Die Altertumsgesellschaft Prussia. Einblicke in ein Jahrhundert Geschichtsverein, Archäologie und Museumswesen in Ostpreußen (1844–1945)“ (Husum 2019). www.verlagsgruppe.de


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